Kristen Stewart ist die Inkarnation der Pfefferminze
Neulich ließ sich Kristen Stewart in einem mädchenhaften, rosafarbenen Chanelkleid für eine Frauenzeitschrift fotografieren – und bewies damit Selbstironie. Denn eigentlich ist die Schauspielerin für einen ganz anderen Look bekannt. Privat bevorzugt sie Doc Martens, nach hinten gedrehte Baseball-Mützen, abgewetzte Hosen, strenge Minikleider, "Miami Vice"-Anzüge mit Chucks-Turnschuhen und auf eine Seite gekämmte Haare. Eben wegen ihrer sperrigen, androgynen Art gilt sie als Stilikone.
Aus Kristen Stewart, die einst als Bella mit der Vampirfilmserie "Twilight" die Teenager-Herzen eroberte, ist ein Superstar geworden, der die Modewelt und Mädchen Mitte zwanzig gleichermaßen zu Füßen liegen. Ein weiblicher Dandy: eine Frau, deren Look ein Statement ist. Und die in jüngster Zeit immer öfter mit tiefer Stimme und Zigarette in der Hand Sätze sagt wie: "Hollywood ist furchtbar sexistisch. Es ist so frauenfeindlich, dass es schon verrückt ist."
Begehrte Stewart-Aura
Die 25-Jährige gehört zu den Vorarbeiterinnen eines neuartigen Stils, der in seiner lässigen Zurückhaltung das Gegenmodell zu amtierenden unironischen Sexbomben wie dem US-Fernsehstar Sofía Vergara darstellt, dieser "Inkarnation eines Hubba-Bubba-Kaugummis" ("Vanity Fair"). Stewart ist dagegen die Inkarnation eines Pfefferminz-Eises: kühl, nicht so süß.
Überhaupt ist sie vieles nicht: Sie zieht sich nicht auf Instagram aus, sie rennt nicht "zufällig" unbekleidet in eine Paparazzi-Meute. Sie will nicht berühmt sein um des Ruhmes willen. Sagt sie jedenfalls. Und tatsächlich sieht Kristen Stewart nicht aus wie jemand, der dringend geliebt werden will. Sie selbst beschreibt ihren Stil als Mixtur aus "Brigitte Bardot, Patti Smith und Kleidern von Stella McCartney".
Zunächst Nicolas Ghesquière, damals Balenciaga-Designer, heute bei Louis Vuitton. Er wählte Stewart für die beiden Düfte "Florabotanicia" und "Rosabotanica" als Gesicht und Körper aus – und wurde mit öffentlichen Model-Bekenntnissen belohnt wie: "Ich mag den Duft wirklich und muss Gott sei Dank nicht dafür lügen." Die Stewart aus der Kampagne hatte etwas von einem Biker-Dornröschen. Eines, das auch für Ghesquières Balenciaga-Entwürfe die passenden Worte fand: "Ich fühle mich in den Sachen androgyn und rigide. Es ist, als ob ich ein verdammtes Gebäude tragen würde."
Supersexy ist abgedroschen
Als nächster verstand Karl Lagerfeld die Stewart-Wirkung. Kürzlich machte er die Schauspielerin zum neuen Gesicht von Chanel. Auf den vom Meister selbst fotografierten Motiven ist ihr Blick gewohnt ernst, manchmal hat sie den Mund halb geöffnet. Über das richtige Maß an erotischer Ausstrahlung waren sich Stewart und Lagerfeld schnell einig. "Dieser supersexy Look ist abgedroschen", fasst sie zusammen. Seit dem Engagement von Chanel ist sie die neue Botschafterin des französischen "jolie-laide", des "Schön-hässlich"-Prinzips. Bedeutet: Man kombiniert schöne und merkwürdige Dinge zu einem neuen Look. Stewart trägt schon mal hoch sitzende Cowboy-Lederhosen mit Crop-Top und großer, randloser Brille – und sticht so jede sexy Modesklavin aus.
Dabei hielt Stewart sich von der Modewelt lang fern, denn zu Beginn ihrer Karriere hatte sie abschreckende Erfahrungen gesammelt. "Ich traf dort einige der schlimmsten Leute die man sich vorstellen kann. Seelenzerstörende, harte Modemenschen. Die komplette 'Der Teufel trägt Prada'-Abteilung", verriet sie der britischen "Harper's Bazaar".
Bei Stewarts zu Hause wurde ein Mädchen nicht in Kleidchen und Blüschen gesteckt. Das Kind wuchs in Hollywoods Mittelstand hinein. Die Eltern arbeiteten in der "Industrie"; der Vater als TV-Produzent, die Mutter als Skriptfrau und Regisseurin. Als Mädchen wollte Kristen vor allem aussehen wie ihr älterer Bruder und setzte später auf hausgemachte Sophistication. Als sie zum Berufsberatungsgespräch ihrer Schule musste, schnitt sie sich ein Paar Jeans ab: "Ich war einfach als Rockstar angezogen."
Mitbegründerin des Boyfriend-Styles
Sie wurde früh zum Kinostar. Mit zwölf Jahren spielte sie neben Jodie Foster in "The Panic Room". Es war der erste Film, in dem Stewart ihr Schmollen und ihr später berühmtes "Mit mir willst du keinen Ärger"-Gesicht zeigte. Als 2008 die "Twilight"-Vampirfilm-Hysterie um Kristen Stewart und Robert Pattinson begann, scherte sie sich wenig um die eiscremefarbenen Roben, die "Vogue"- Redakteurinnen beeindrucken könnten oder sie auf die "Best dressed"-Listen der Welt hätten schießen können. Stattdessen behielt Stewart den "Mullet"-Haarschnitt, vorn kurz, hinten lang, den sie als Joan Jett in einem Film getragen hatte – und ihren verführerischen Gang in groben Motorradstiefeln.
Stewart entwickelte damals für den roten Teppich eine "Casual Chic"-Variante, in dem die Schauspielerinnen ihres Alters sich nicht mal zum Frühstücken außer Haus begeben hätten. Sie warf sich in fast transparente Spitzenkleider und trug dazu Turnschuhe. Oder sie wählte kleine Zelte, die von ihrem Busen und Po nichts zeigten.
Sie kreierte und zelebrierte zu dieser Zeit auch den sogenannten "Boyfriend"-Stil, zog also einfach die Jeans und die T-Shirts ihres damaligen FreundesRobert Pattinson an. Auch das: ein Statement.
Quaintrelle, Dandy, Stewart
Oder anders gesagt: eine typische Aussage einer Quaintrelle. Das englische Adjektiv "quaint" lässt sich wahlweise mit "liebreizend" oder "bizarr" übersetzen, Quaintrelles wiederum gelten als freie, wilde, sehr elegante Mädchen und halten sich an die Regeln der frühen Marlene Dietrich. "Ich zieh mich für mein Image an, nicht für mich selbst. Nicht für die Öffentlichkeit, nicht für die Mode, nicht für die Männer."
Coco Chanel gilt mit ihrer Mode-Philosophie für die freie, elegante Frau als eine der ersten Quaintrelles, ebenso die polnische Gräfin Tamara de Lempicka, die gern Männerkleidung trug und in den zwanziger Jahren als erste Künstlerin mit Glamour-Bewusstsein galt. Eine Quaintrelle zu sein ist übrigens nicht gleichbedeutend mit einen extremen "Jolie laide"-Kleidergeschmack. Es bedeutet nur, eine Haltung zu einer Hose und zu einem Kleid zu haben. So wie Kristen Stewart.
Ganz Dandy und ganz Stewart, rückt sie immer wieder davon ab als Stilikone, als Vorbild für irgendwen zu stehen. Sie versuche "niemandem irgendetwas zu zeigen", versichert sie. Doch der Stewart-Look hat sich durchgesetzt. So sehr, dass selbst Stewart nicht mehr gegen den eigenen Einfluss ankommt.
Lesbische Garderobe anstatt Sahnetortenkleider
In den Straßen der Hipstergegenden von Los Angeles braucht man sich nur in ein paar Cafés zu setzen, um den Kristen-Look zu finden: kein Make-up, kleine Risse in der Jeans, verwaschene Band-T-Shirts und Haare, die selten bis zu den Schultern reichen, Minishorts mit flachen Schuhen. Gerade in den Lesben-Communitys der Viertel Los Feliz und Silver Lake finden sich viele Kristen Stewarts. Und genau deshalb versucht die Boulevardpresse seit Monaten, einen Beweis dafür zu finden, dass sie lesbisch ist, ja sogar ihre bevorstehende Hochzeit mit einer Freundin vorauszusagen.
Es sind Fantasien, die auch durch ihren aus dem letzten Jahr stammenden Film "Sils Maria" beflügelt werden, einem Werk, das der Regisseur den Protagonistinnen auf den Leib schrieb. Darin verkörpert Stewart die Assistentin einer Schauspielerin, die die Hauptrolle in einem Lesben-Drama spielen soll – und der sie in der Abgeschiedenheit der Berge näher, wenn auch nicht ganz nah kommt. Auch das ein Statement?
Etliche Blogs beschweren sich bereits darüber, dass klassische Medien Stewart anhand ihrer Garderobe als lesbisch beschreiben, ohne sie direkt so zu nennen. Bisher stehen ihre Jeans- und T-Shirt-Outfits allerdings vor allem für eine Alternative zu freizügigen Bustier- und Sahnetortenkleidern. Und für einen Look, den lesbische Frauen oder die neuen berühmten, stylish angezogen "Celesbities" weiterentwickeln, wie zum Beispiel Jenna Lyons, die Chef-Designerin der Marke J.Crew.
Stewart über Feminismus
Es ist nicht mehr der Stil der sogenannten "Lipstick Lesbe", die im Männeranzug die Welt erobert und die man aus Serien wie "The L Word" kennt. Dort machte Jennifer Beals als erfolgreiche, gut gekleidete Bette Porter Karriere – im Power-Anzug. Eben genauso wie ein Mann. Ein Look, den auch heterosexuelle Frauen immer mal wieder ausprobieren, den sie jedoch stets bald wieder ablegen. Ähnlich wie ein Korsett engt er dann doch zu sehr ein.
Die zeitgenössischen Quaintrelles sorgen derzeit lieber für ein neues Bild des freien, eleganten Mädchens: eines Girls, wie es kein Geringer als der Dior-Designer Hedi Slimane kürzlich für das britische Lifestyle-Magazin "Wonderland" inszenierte (das Foto ist hier zu sehen). Die im Studio aufgenommen Fotos zeigen Stewart sitzend und rauchend als säße sie im "Le Figaro"-Café in Los Feliz.
Im Interview dazu geht es natürlich um Feminismus. Stewart beschwert sich über Frauen ihres Alters, die Angst hätten, sich "Feministin" zu nennen – aus Furcht, als Männerfeindinnen zu gelten. "Sie verstehen nicht, dass man auf ganz verschiedene Art Feministin sein kann", erklärt sie. Kristen Stewart möchte sich nicht festlegen, wann und wo die maskuline oder feminine Seite durchbricht. Rosa geht eben auch.