Cannes 2014: Olivier Assayas liefert sich aus. Clouds of Sils Maria ist ein Film wie ein gutes Gespräch, immer in Bewegung, nie angekommen, angreifbar. Und Juliette Binoche lacht, oft.Weiterlesen könnt ihr nach dem *KLICK*.
Valentine (Kristen Stewart) jongliert im Zug mit zwei Handys die beruflichen und privaten Termine ihrer Chefin, der Schauspielerin Maria Enders (Juliette Binoche)...
Doch der Film führt auf eine falsche Fährte, wenn er zu Beginn den Eindruck erweckt, es könnte hier um eine Auseinandersetzung gehen zwischen der Person und ihrer öffentlichen Persona. Denn obwohl sich Assayas sehr für die Welt von Maria interessiert, für ihr Verhältnis zur Berühmtheit, zu den Erwartungen von anderen und ihren eigenen, gibt es hier nicht zwei konkurrierende Sphären, aus denen man heraus- und in die man hineintreten könnte. Für Maria ist die Arbeit ihr Leben und umgekehrt. Jede Äußerung zur nächsten Rolle drückt auch eine Haltung zu ihr als Mensch aus. Sie ist nicht ihre Figuren, aber sie durchlebt deren Erfahrungen. Überhaupt liebt und sucht sie die Symbiose.
Zwei Frauen, zwei Perspektiven
Am Anfang von Clouds of Sils Maria (Sils Maria) dreht sich alles um eine Preisverleihung, zu der Maria nur widerwillig fährt, und um ein Wiedersehen mit einem verhassten Weggefährten. Doch diese drängenden Konflikte um Auftritt und Vergangenheit der Schauspielerin werden flugs abgelöst durch ein beinahe den gesamten Film dauerndes Gespräch über viele verschiedene Szenen hinweg, in den Schweizer Bergen, oben bei Sils-Maria. Dort richten sich Maria und Valentine ein, hier bereitet sich Erstere auf ihre nächste Rolle vor. In einer Neuinszenierung des Theaterstücks, mit dem sie als 18-Jährige berühmt wurde, soll sie nun ihr einstiges Gegenüber spielen, die ältere, arrivierte Helena, die sich verführen und in den Suizid treiben lässt von der jungen aggressiven Sigrid. Zwei Frauen, zwei Generationen, zwei Perspektiven. Assayas brennt diese Dynamik in die Beziehung von Maria und Valentine ein, die Argumente und Meinungen austauschen, als seien sie ein Liebespaar, das um eine gemeinsame Vision ringt.
Nietzsche verbrachte sieben Sommer in Sils-Maria, Hermann Hesse war auch da. In mehreren Zwischenspielen geben prächtige Panoramaaufnahmen eine Ahnung davon, wie inspirierend diese Berge sein können für den Fluss der Gedanken, für die produktive Einsamkeit oder, wie hier, die diskursive Zweisamkeit. Die Berglandschaft und die titelgebenden Wolken, die sich wie eine Schlange durch den Pass am Silsersee hindurchwinden, sind das Sujet eines Bergfilms aus den 1920er Jahren, Das Wolkenphänomen von Maloja, den Assayas leinwandfüllend zitiert mit einem Kommentar über das Schwarzweiß, die Distanz, die der Kurzfilm provoziert, aber auch die Wahrheit, die er ausstrahlt. Clouds of Sils Maria lässt sich insgesamt als Kunstkommentar verstehen, aber als einer, mit dem die Protagonisten so eng verstrickt sind, dass die persönliche Dimension stets die allgemeineren Fragen perspektiviert. Der Anklang an Abbas Kiarostamis Die Liebesfälscher (Copie Conforme, 2010), in dem Binoche mit einem britischen Kunsthistoriker durch italienische Dörfer läuft, kommt nicht von ungefähr. In beiden Filmen mischen sich vergnüglich die Bezüge und die Beziehungen, flanieren die Protagonisten im einen Augenblick, um im nächsten vor Dringlichkeit beinahe zu explodieren.
Angriff und Abwehr
Clouds of Sils Maria ist ein ungemein zeitgenössischer Film, der mit einer für den Regisseur kennzeichnenden Offenheit bei gleichzeitigem Scharfsinn auf die Gegenwart blickt. Bereits in einer der ersten Diskussionen lässt er Binoche auf die gefährliche Macht von Google verweisen, um sie dann bei nächster Gelegenheit mit ihrem Tablet auf dem Bett zu zeigen, wie sie die Google-Bildersuche mit ein paar Wischbewegungen abscrollt. Die zentralen Generationen-Fragen – wer versteht die Welt richtig, wer lebt falsch – äußern sich in den technischen Geräten und deren Benutzung, sie sind die Spiegel von tieferliegenden Konflikten, die um Flüchtigkeit und Verstetigung, um Pop versus Klassik, um Angriff und Abwehr kreisen. Sowohl Binoche als auch Stewart bringen dafür eine Reihe an Referenzen mit ein, Letztere vor allem über ihre Verbindung zum US-Teenager-Kino, Erstere als international bekannte Schauspielerin aus Frankreich, die mehr im Autorenkino, aber auch in Blockbustern zu Hause ist.
Wer ihn kennt, weiß, Assayas neigt nicht zu einer einseitigen Verteidigung von Kunst gegen Kommerz. Stattdessen gewinnt er beiden Perspektiven etwas ab und legt in beiden Frauen auch Ambivalenzen an. Denn Maria will zwar keine Filme des Geldes wegen machen, was sie aber stattdessen will und was sie dafür bereit ist zu opfern, das weiß sie nicht so genau. Valentine verteidigt ihre Welt aus Hollywood-Gossip und -Filmen, ergeht sich aber gleichzeitig in Bewunderung für Maria. Einmal sitzen sie gemeinsam im Kino mit 3D-Brillen und gucken den neuesten Sci-Fi-Schmarrn der künftigen Theaterpartnerin von Maria, einer austauschbaren Jungschauspielerin. Assayas zeigt dieses „fremde“ Material – das er freilich selbst inszeniert hat – genauso wie vorher den Bergfilm ganz groß. Wie sich darin zwei junge Frauen konfrontieren, es geht irgendwie um Vertrauen und Verrat, hat in der Überspitzung durchaus etwas Groteskes, aber auch Lustvolles. Im Anschluss sitzen Stewart und Binoche nebeneinander in einer Bar – die Junge ist im Rechtfertigungszwang und schlägt sich, wie auch sonst, sehr gut. Assayas schenkt ihr das ernste Argument, lässt Binoche dafür lachen. Ein Lachen, wie es sich durch den gesamten Film zieht, eines, das davon erzählt, dass im Zweifel der Humor helfen wird, mit dem uns Fremden umzugehen.
Selbstbewusste Abneigung
Weil Clouds of Sils Maria die Debatten über das Älterwerden, die sich verschiebenden Zugänge zu Kunst und Leben ausbreitet, strahlt er eine Offenherzigkeit und Verletzlichkeit aus. Maria will die angenommene Rolle der älteren Frau im Theaterstück doch nicht mehr spielen, Valentine hält es immer weniger aus, von Maria nicht richtig gehört zu werden. Jede von den beiden ist auf die andere angewiesen. Weil sie sich geöffnet haben, haben sie sich einander ausgeliefert. Um die Gegenwart zu begreifen, müssen sie sie miteinander teilen. Ihr Blick ist erst gemeinsam vollkommen. Mit einer schlichten Eleganz inszeniert Assayas dieses Gefüge, den fließenden Strom der bescheidenen Gedanken, die stets nur kollaborativ entstehen. Und wenn er am Schluss einen jungen Regisseur (Brady Corbet) die heutigen Zeiten ablehnen lässt, dann ist das eine keineswegs selbstgerechte, aber sehr wohl selbstbewusste Form der Abneigung, die sich nicht gegen die moderne Flüchtigkeit stellen muss, nur gegen deren Ausverkauf.
via Critic.de